Die Bestsellerformel. Ein Thriller aus der Hölle des Selfpublishing -22-

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»Soll ich dir mal was sagen?«, sagte ich zu Jens Rehlers, der sofort angewidert sein Gesicht verzog. »Ich denke, wir sind ermittlungsmäßig ziemlich am Arsch, das hier ist kein Fall, den wir in unseren Memoiren groß ausschlachten sollten.«
»Memoiren?« Rehlers verzog sein Gesicht zu einer fast-menschlichen Form. »Willst du etwa auch fröhlich selfpublishen?«


»Eher gehe ich mit dir ins Bett«, sagte ich den fatalen Satz, der Jens Rehlers auf der Stelle dazu ermunterte, sein kleines Teilchen von der rechten auf die linke Seite zu verlegen.
»Ich merks mir«, drohte er. »Aber du hast recht. Ich kann mir nicht helfen, aber irgendwie … wir sind Spielball eines genialen Dämons, eines allwissenden Demiurgen – frag mich nicht, was das ist, aber Fremdwörter machen sich immer gut -, der souverän die Fäden zieht. Alles ist Täuschung. Wir irren auf falschen Pfaden durch die Ereignisse, wir ziehen falsche Schlüsse, wir denken falsche Gedanken – das ist richtig bescheuert. Irgend so ein fucking Cyborg juxt mit uns herum, der kranken Fantasie pyramidenförmiger Science-Fiction-Autoren entsprungen. Das taucht einfach nichts!«
Mein Gott, er hatte wieder seine existenziell-kryptischen fünf Minuten! Ich seufzte übertrieben und schaute aus dem Fenster unseres Büros hinaus in den gräulichen Himmel.
»Komm mal wieder runter. Wenn es wirklich so ist, wie du sagst, müssen wir den Fall eben noch einmal durchgehen.«
Jetzt seufzte Rehlers, noch übertriebener.
»Muss das sein? Hatten wir nicht eigentlich vor, zum Begräbnis von dieser Hundesalonbesitzerin zu gehen, der Domröse? Wenn ja, sollten wir uns beeilen.«
Hm, stimmte ja. Vergeudete Zeit, wenn man mich gefragt hätte, aber wer fragte mich schon. Beerdigungen sind noch nie mein Ding gewesen, zu viel falsche Tränen für meinen Geschmack. Ich seufzte nun übertriebenst, dass sogar der Himmel draußen rot vor lauter Fremdschämen wurde, und erhob mich.
»Okay, gehen wir halt hin. Friedhof. Da kommen wir wenigstens umsonst rein.«

*

Ja, kamen wir auch. Meine Assistentin Natascha Iwanowa, geboren auf der weiten und schmutzigen Steppe Kasachstans, trug ein edles schwarzes Kleid, kniefrei selbstverständlich, so würde unsereiner nicht einmal zur Beerdigung von Karl Lagerfeld gehen. Okay, ich wäre auch wahrscheinlich nicht eingeladen. Und das läge bestimmt nicht daran, dass ich meinen alten Kommunionsanzug trug, das gute Stück, etwas zu eng, aber wenn ich nicht atmete, passte es immer noch.
Ich fragte mich schon die ganze Zeit, wen man da eigentlich beerdigte. Gewiss nicht nur Frau Domröse allein, auch einige Pudelteile dürften ihren Weg in die Urne gefunden haben. Dies war ein Phänomen unserer neuzeitlichen Sterbemethoden, die immer häufiger mit größeren Mengen Sprengstoff arbeiteten. Heutzutage an Altersschwäche zu sterben, war einer Pussy würdig.
Die Trauerfeier schenkten wir uns. Vor der Leichenhalle setzten wir uns auf eine Mauer, von drinnen ertönte feierlicher Chorgesang und eine hohe Männerstimme erzählte lustige Episoden aus dem Leben der nun Toten, erwähnte auch den trauernden Gatten, einen gewissen Ernst, der nun ganz allein auf dieser Welt pipapo. Das Übliche halt. Ich verkniff mir das Gähnen, Natascha, die unser Hiersein noch immer für Zeitverschwendung hielt, grub mit dem Absatz ihres linken Schuhs merkwürdige Gebilde in den Kiesweg.
Endlich hatte die Zeremonie ihr tröstliches Ende gefunden, Frau Domröse war der Zutritt zur ewigen Seligkeit gewährt worden und die Türen der Leichenhalle öffneten sich knarrend. Gramgebeugt schritt der Ehemann – wer sollte es anders sein – der Trauergemeinde voraus, noch nie hatte er seinem Vornamen eine solche Ehre gemacht, die Urne mit der Asche der Verblichenen (und einiger Pudelteile) auf einem nachtblauen Samttuch vor sich her tragend, einem Nachtblau, das mich an Lydia Bärentritts Unterwäsche erinnerte, an die ich mich angesichts ihrer Trägerin, die gleich hinter dem Witwer schritt, aber sowieso erinnert hätte. Sie hatte ihren Vater, der also wieder auf freiem Fuß war, eingehakt, hinter ihr ging Kevin von Karthäus, den lüsternen Blick auf Lydias Nacken gerichtet.
Oh ja, da waren sie alle. Die Mitglieder der SHAKESPEARE-Gruppe, diesmal ohne Laptops, und ich wusste, was in ihren vorging: Hatten sie während der Trauerfeier, die mit inaktiven Smartphones hinter sich gebracht worden war, wieder etwas verkauft?
Ein Mann mittleren Alters fiel mir besonders auf. Er wankte beinahe am Ende des Zuges und vergoss eine solche Tränenmenge, dass der Verdacht, hier handele es sich um einen Liebhaber der Toten, nahelag. Wir warteten, bis uns der Trauerzug passiert hatte, standen auf und schlossen uns an, ich befand mich auf gleicher Höhe mit dem zu sehr Trauernden, der weiter hemmungslos schluchzte. Ich legte tröstend meinen Arm um seine Schultern und sagte in der pietätvollsten Tonlage, die mir zur Verfügung stand:
»Naaa? Jetzt hats die Domi erwischt, die geile Schabracke, hattest du auch was mit ihr?«
Der bisher greinend verzerrte Mund des Mannes nahm die Form eines halb offenen Arschlochs an, nur kurz allerdings, dann öffnete er es und sagte empört:
»Lassen Sie mich mit dieser alten Schlampe in Ruhe! Ich wette, die ist an allem schuld! Meine Frau ist mir vor ein paar Tagen abgehauen, wenn ich sie erwische, schlag ich sie tot. Ich liebe sie doch so!«
Und wieder ließ er seinen Tränen freien Lauf.
»Oh!«, artikulierte ich mit dem allerhöchsten Grad meiner ehrlichen Anteilnahme, »ich wusste gar nicht, dass Ihre Frau Gemahlin mit Evamaria befreundet war!«
Der Mann spuckt verächtlich aus.
»Befreundet? Sie hat sie wie eine falsche Schlange umgarnt und ihr Flausen ins Ohr gesetzt. Medusa war ihr hörig, so kann man das sagen!«
Medusa? Originell. Ich nickte so verständnisvoll wie möglich und ließ mich zu Natascha zurückfallen, die mir einen neugierigen Blick zuwarf.
»Unsere Hundeversteherin scheint ja ein durchtriebenes Weib gewesen zu sein! Hetzt brave Hausfrauen gegen ihre treusorgenden Männer auf!«
»Hm«, machte Natascha.
»Ja, seine Alte ist abgehauen. Also ganz ehrlich: Kann ich gut verstehen. Welche Frau will schon einen flennenden Mann.«
Der Trauerzug hatte inzwischen die Grabstätte erreicht. Ein Hundechor, sechs Dalmatiner, kläffte Bachs Weihnachtsoratorium, ich hatte von ihnen gehört, man konnte sie mieten, ihre Darbietung war professionell, unter Zurücklassung dreier Kothaufen wurden sie von ihrer geschäftstüchtigen Besitzerin vom Gelände geführt. Wir falteten die Hände und murmelten ein letztes Gebet.

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